Wie Paarbeziehungen funktionieren

Was wenn die Liebe hinfällt?

Oft laufen Paarbeziehungen ja wie nach dem bekannten Schema ab: anfangs die „Große Liebe“, irgendwann später dann Gleichgültigkeit. Oder gar Wut bis hin zu tödlichem Hass, wie in Filmen wie „Der Rosenkrieg" sehr realistisch dargestellt.
Wie kann das geschehen? Was sind die inneren Kräfte, die viele Paare zumindest etwas Ähnliches erleben lassen? Wie also funktionieren Paarbeziehungen?

Eine Ebene soll anhand des Modells vom „Inneren Kind" beleuchtet werden.
Das „Innere Kind“ ist ein symbolischer Ausdruck. Es beinhaltet unsere tieferen Empfindungen, „Bauchgefühle" sowie vor allem unsere Vergangenheit.
Meist unbewusst beeinflusst es maßgeblich unseren Alltag, seine Gefühle und das (Un-?) Wohlsein. (Weitere Ausführungen zum Inneren Kind siehe meinen Artikel „Das Innere Kind")
Die meisten Menschen haben als Kind mehr oder weniger seelische Verletzungen erlebt, die man in der Regel irgendwie lernte wegzustecken. Denn was man nicht fühlt, das tut nicht weh. Dies war hilfreich und oft sogar überlebensnotwendig, denn ein Kind kann größere innere Schmerzen nicht verarbeiten. Soweit, so sinnvoll.
Aus Gewohnheit wird das Erleben von unguten Gefühlen auch in späteren Jahren weiterhin „abgewehrt“ (würde Freud sagen). D. h.: das Innere Kind mit seiner Erinnerung an alte ungeheilte Schmerzen, Sorgen, Sehnsüchten wird weiterhin abgeblockt, obwohl ein Erwachsener durchaus mit schwierigen Gefühlen umgehen könnte.
 
Dieses Ausblenden erfordert zum einen viel Kraft, zum anderen erzeugt es natürlich tiefe Unstimmigkeit, da man ja innerlich gegen sich selbst kämpft, ohne es vielleicht auch nur zu merken. Außerdem kann man selten nur „schwierige“ Gefühle des Inneren Kindes abblocken, vielmehr werden mehr oder weniger alle, auch positive Gefühle gedrosselt!
Die Folgen sind den meisten Menschen wohl geläufig: man fühlt sich dann nicht ganz, nicht rund, uneins, unzufrieden. Kein Wunder, denn welches „Kind“ will schon eingesperrt sein? Es wird natürlich mürrisch, wütend, resigniert reagieren und ständig auf der Suche sein nach Hilfe, Befreiung, nach Leben.
Der Erwachsene wiederum spürt diese schwierigen Gefühle und sucht nach Änderung, aber weiß zumeist gar nicht, was er genau sucht und landet dann bei irgendeinem Ersatz wie Streben nach Erfolg, Geld, Erlebnissen, Süchten ....
 
Beim Verlieben passiert meistens eine Art Revolution, denn die Inneren Kinder sind plötzlich nicht mehr eingesperrt! Wenn jedes der beiden Inneren Kinder erlebt: da ist endlich jemand, der mich wirklich annimmt, der mich wirklich liebt, dann ist ja die Suche nach Hilfe und Befreiung endlich erfüllt! Also kommen auch die so lange gedrosselten Kindgefühle wie Lebensfreude, Glücksgefühl, Spontaneität hoch! So „spielen“ die Inneren Kinder eines Paares unbefangen und voll Lebensfreude miteinander.
Das Verliebtsein wird meist als ein überströmendes, ganzheitliches, „holistisches“, Gefühl erlebt, und zwar deswegen, weil man tatsächlich verbunden ist - mit sich selbst nämlich wieder, mit seinem Inneren Kind! Dieses ist natürlich überglücklich, und deshalb erlebt man auch wieder eine so beglückende Verbindung zur Welt: die Sonne strahlt hell, die Vögel singen, alles ist bunt und herrlich! Man fühlt sich mit dem geliebten Menschen und mit der ganzen Welt glücklich und verbunden. Soweit, so rund.
 
Da aber selbst in liebevollster Partnerschaft Enttäuschungen nicht ausbleiben, entstehen auch Verletzungen. Und mit diesen geht jeder im Laufe der Zeit oft genau so um, wie in der Kindheit gelernt: durch Wegstecken der Verletzung, durch Umlenken auf Anderes, z. B. Arbeit. Und das bedeutet, man will das Innere Kind auch mit den neu erlebten Verletzungen nicht fühlen und schließt es nach mehr oder weniger langer Freiheit wiederum ein! Das Ergebnis: man ist wieder innerlich abgetrennt, das altbekannte dumpfe, traurige, depressive Gefühl stellt sich wieder ein.

Und dieser Fall aus dem Paradies ähnelt meist Enttäuschungen und Verletzungen aus der Kindheit. Die damaligen Empfindungen werden von der Psyche üblicherweise mit den aktuellen vermischt [1], so dass dann ein regelrechter Hexenkessel von heftigsten Gefühlen entsteht. Werden diese nun altgewohnt abgewürgt, entsteht allmähliche Gleichgültigkeit; werden sie dem Partner übergossen und reagiert der wiederum mit entsprechend starken Gegenmaßnahmen, ist Krieg. Auf jeden Fall sind die Flitterwochen zuende.
 
Das Innere Kind erlebt: wenn man vorher noch im Paradies war und nun wieder in der altbekannten Hölle, dann muss der „Verursacher“ davon ja der Teufel sein! Also beginnt man, den bisher so Geliebten abzulehnen und sich mit Gleichgültigkeit oder mit Kampf gegen ihn zu wehren. Die bisherige gegenseitige Verehrung der Inneren Kinder schlägt um in Wut [2]. Was bei Kindern schnell geschehen kann. Und so entstehen die endlosen Kämpfe: „Du bist schuld, Du bist spießig, kalt, lieblos, so verletzend, ein Schuft ...!“
 
Aber all diese Vorwürfe hätte man – zumindest so ähnlich – bereits als Kind den Personen machen können, die einen damals schon so verletzt hatten. Solche unfruchtbaren Streits sind nämlich stets unbewusste (!) Neuauflage alter Kindheitsthemen unter eigener Regie – die Erinnerung des Kindes an alte Wunden durch die Eltern wird jetzt außen „inszeniert“[3]: „Meinem Inneren Kind geht es schlecht wie früher, weil Du – Partner/in – mich da und da falsch behandelst – ähnlich wie meine Eltern es taten!“
 
In solchen Situationen kommen die meisten Paare zu mir in die Therapie. Frust, Nebeneinanderherleben, Streit, Kampf, verbunden mit Sehnsucht nach dem alten Paradies oder zumindest Ähnlichem. Vielleicht schon mit größeren Verletzungen als Folge der inneren Trennung voneinander oder vom eigenen Inneren Kind – beispielsweise ging ein Kind lieber mit einem Dritten „spielen“, denn zuhause machte alles ja keinen Spaß mehr. Was ja aus der Sicht von Kindern verständlich ist, aber in der Welt der Erwachsenen „Fremdgehen“ heißt und entsprechend Probleme bereitet.
 
In der therapeutischen Arbeit machen wir uns auf die Suche nach den gegenseitigen (!) Enttäuschungen der Inneren Kinder. Und dann begleite ich die Paare auf dem Weg, berechtigte Wünsche (= als Erwachsener an den Partner) und deren Enttäuschungen trennen zu lernen von verletzten Erwartungen des Inneren Kindes (= unbewusst, an einen elterlichen Versorger). Denn die Versorgung und Heilung des Inneren Kindes von alten Wunden kann ausschließlich der betreffende Erwachsene selbst erreichen.
Schon das Verstehen: „unsere Enttäuschungen sind deshalb so vehement, weil alte eigene Wunden wieder mit zu schmerzen beginnen, und es greifen wieder automatisch alte Schutzmechanismen, mit denen ich mich selbst einbunkere und mich entsprechend trost- und freudlos fühle und dadurch setze ich eigene alte Erfahrungen wieder in Szene“ – allein das ist vielen Paaren schon eine Hilfe.
Und wenn dann im Laufe der Therapie gelernt wird: ich kann wieder die Kerkertür öffnen, mich um mein Inneres Kind kümmern und seine Verletzungen heilen, dann erleben viele Menschen Gefühle, die denen aus der Verliebtheitszeit ähneln: Einssein, Verbundenheit, Glücksgefühle - unabhängig davon, ob der Partner sich um mich kümmert! [4]
 
Diese innere Freiheit ermöglicht eine fundamental andere Art der Paarbeziehung. Man muss nicht mehr ängstlich darüber wachen, genug Aufmerksamkeiten vom Partner zu bekommen, um sich gut zu fühlen. Und man muss nicht mehr den anderen unter allen Umständen zufrieden stellen, bloß um vielleicht nicht fallen gelassen zu werden. Denn wenn man selbst für das eigene Innere Kind die Verantwortung zur Fürsorge übernommen hat, dann begegnet man sich frei, als Erwachsene – wobei die glücklichen Kinder natürlich gern mitspielen sollen!

Paarbeziehungen haben also sozusagen die „Aufgabe“, uns an die eigenen biografischen Altlasten zu bringen – und damit zunächst meist an den Rand der Verzweiflung, dann aber vielleicht auf einen Heilungsweg. [5] Dadurch ist dann Wachstum, Lebendigkeit, Lebenslust, Kreativität möglich.
So können Paarbeziehungen auch lebenslang funktionieren! Zwar auch nicht immer, aber immer öfter.



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[1] Unsere Psyche ist so „konstruiert“, dass sie in jedem Augenblick das gerade Erlebte mit alten Erfahrungen vergleicht. Wird dabei Ähnliches gefunden, werden meist die damaligen Gefühl wieder erzeugt, so dass ich sie jetzt spüre. Scheinbar also als Reaktion auf das momentan Erlebte, in Wirklichkeit aber zumindest zum allergrößten Teil eine Art „Playback“ aus meinem eigenen Archiv!
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[2] Beziehungskriege sind für Außenstehende deswegen überhaupt nicht nachvollziehbar, weil da die Wut von Kindern (mit den Mitteln der Erwachsenen) losgelassen wird, eben manchmal völlig irrational. So z. B. auch im o. g. Film „Der Rosenkrieg“: beide haben schon das halbe Haus in Trümmer gelegt und versuchen, einander umzubringen – aber die Ehefrau sagt auf Frage der armen Haushälterin, die zufällig vorbeischneit, dass es ihr „noch nie besser“ gegangen sei!!
Die Erklärung der Irrationalität solcher Beziehungskriege liegt in der Tatsache begründet, dass wir zu sage und schreibe über 90 % von unserem Unterbewusstsein regiert werden; nur knapp 10% kann man aus dem freien Willen entscheiden! Das hat die neuere Hirnforschung ergeben.
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[3] Siegmund Freud nannte dies technisch-brutal „Wiederholungszwang“: wir wiederholen alte ungelöste Probleme solange, bis wir sie gelöst haben. Und dazu suchen wir uns unbewusst die „passenden“ Mitakteure aus. Mit denen zusammen werden unsere alten Situationen nachgespielt. Sei es, dass mein Partner die Rolle eines Elternteils von mir erhält und ich die Rolle von mir als Kind damals wieder fühle, sei es dass der Partner von mir die Rolle eines Elternteils bekommt und ich die des anderen nachspiele – da sind verschiedenste Möglichkeiten. Die Psyche ist sehr erfinderisch.
Und das Wunderlichste: dem Mitakteur wird vielleicht nach einigem Nachsinnen seine eigene Rolle auch irgendwie bekannt vorkommen, denn die Szenerie ist auch ein Nachspielen von dessen eigener Kindheit! Also inszeniert jeder von beiden wieder jeweils seine alten Themen, es laufen also zwei „Stücke“ gleichzeitig. Und das ist möglich, weil sich stets Menschen ineinander verlieben, deren alte Stücke derart zueinander „passen“!
Ein kleines Beispiel dafür, wie jeder sein Stück inszeniert, ist zu finden in der „Spielanalyse“. Das dortige „Spiel“ spiegelt alte Kindheitserfahrungen wider. Wie solche "Spiele" und "Stücke" analysiert und verändert werden können, ist in meinen "Praxiskursen 2: Das Innere Kind und der Alltag" zu lernen.
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[4] Manchmal kommt dabei die Frage hoch: wenn ich dann derart rund bin – wozu brauche ich dann noch einen Partner? – Nun, ich „brauche“ ihn/sie dann nicht in dem abhängigen Sinn, aber zu Zweit ist das Leben halt viel schöner!
Und man könnte fragen: ist denn „Verliebtsein“ also nur Lug und Trug? – Keineswegs. Denn im Verliebtsein erlebt man ja eigene Gefühle; zu denen man offensichtlich fähig ist. Und dann kann man lernen, den Weg zu diesen Gefühlen auch weiterhin offen zu halten. Verliebtheitsgefühle zeigen also die Möglichkeiten, die sowohl in der Partnerschaft wie auch in jedem der beiden liegen. Diese können sozusagen durch „Nacharbeiten“ dann immer wieder angestrebt und erlebt werden.
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[5] Insofern können selbst katastrophenartige Krisen, z. B. das Offenbarwerden einer Drittbeziehung, letztlich zu einem heilsamen Anstoß werden – für beide Partner. Siehe dazu auch meinen Artikel „Was tun bei einer Affäre?“
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Ausführlicheres zu diesem Artikel können Sie auch in meinen öffentlichen Vorträgen hören.

Das Urheberrecht aller Artikel liegt bei Peter Bartning, www.beziehungsheilung.de.
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